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Minimum als Ausbildungsziel?

7. September 2015

Der hervorragende Ruf der Architektenausbildung in Deutschland steht auf dem Spiel, weil die Architektenkammern nur den kleinsten gemeinsamen Nenner in Sachen Bildung suchen. Warum heben sie einen erreichten hohen Ausbildungsstand nicht hervor, sondern verstärken Tendenzen zur Verkürzung der Ausbildungszeiten? Sie sind aufgefordert, sich intensiv mit der europäischen Studienreform zu befassen und die Zukunft aktiv mitzugestalten. Beide Studienwege gemäß EU-Richtlinie 2013/55/EU müssen jetzt in das Musterarchitektengesetz aufgenommen werden.

 Von Hartmut Niederwöhrmeier

 Die EU-Richtlinie 2013/55/EU über die Anerkennung von Berufsqualifikationen muss bis 2016 in nationales Recht umgesetzt werden. Dazu erarbeitet eine Arbeitsgruppe der Bauministerkonferenz den Entwurf für ein neues Musterarchitektengesetz. In einem weiteren Schritt wird diese Empfehlung in den Ländern jeweils in ein fortgeschriebenes Baukammergesetz umgesetzt.

Viele Punkte sind zu bedenken. Im Folgenden konzentrieren sich die Ausführungen auf den Paragraph 4 ‚Voraussetzungen für die Eintragung‘ und da wiederum im Besonderen auf die Frage der Studiendauer der Studiengänge Architektur. Die sog. kleinen Fachrichtungen ILS sind nicht explizit betroffen, aber auch in diesen Sektoren gibt es die berechtigte Forderung – durchaus auch auf der Grundlage von Beschlußfassungen in Vertreterversammlungen – die Studiendauer auf generell 4 Jahre anzuheben -letztendlich gekoppelt mit der gemeinsamen Zielsetzung, auch in diesen Fachrichtungen ein gleich langes Studium wie in Architektur zu etablieren. In der neuen Berufsanerkennungsrichtlinie sind für die Ausbildung von Architekten zwei Möglichkeiten für Mindeststudienzeiten aufgeführt. Zum einen ein 4-jähriges theoretisches Vollzeitstudium mit 2 darauf folgenden Jahren Berufspraktikum. Das Berufspraktikum muss auf den während des Studiums erworbenen Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen aufbauen und unter der Aufsicht einer Person oder einer Stelle absolviert werden, die von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedsstaates zugelassen wurde. Zum anderen ein mindestens 5 Studienjahre umfassendes Hochschulstudium auf Vollzeitbasis.

Zunächst ist es geboten, festzustellen, dass damit erstmalig ein 5-jähriges Architekturstudium in die Berufsanerkennungsrichtlinie aufgenommen wurde. Das ist ein großer Fortschritt und zeigt deutlich die Richtung auf europäischer Ebene. Dem ist vorausgegangen, dass sich Berufsverbände, Kammern und der Akkreditierungsverbund für Studiengänge der Architektur und Planung schon im Zuge des Bologna-Prozesses für diese Studiendauer ausgesprochen haben, Beschlüsse gefasst haben und auch im Vorfeld durch Schreiben an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie auf die Aufnahme der 5-jährigen Studiendauer in die Berufsanerkennungsrichtlinie hingewirkt haben. Dieses Streben ist kein deutscher Sonderweg, sondern getragen von einem zukunftsorientierten Blick auf den europäischen und weltweiten Hochschulraum, in dem schon lange die 5-jährigen Studiengänge für Architektur etabliert sind. Leider muss man nun feststellen: Deutschland hinkt offensichtlich weiterhin in diesem Punkt hinterher -nein – es ist inzwischen sogar Schlusslicht. Es verwundert daher sehr, wenn man sich hierzulande immer noch an die 4-jährige Studiendauer in Architektur klammert. Deutschland steht damit allein.

In unseren Universitäten und Hochschulen haben sich im Bologna-Prozess auf der Grundlage der ländergemeinsamen Strukturvorgaben dennoch fast flächendeckend 5-jährige Studiengänge entwickelt. Das ist ein mühsamer Prozess, der von den Professorinnen und Professoren an den Hochschulen geschultert wird – zusätzlich zu den Lehrverpflichtungen. Aber das Ergebnis ist überzeugend: aus pädagogischen und didaktischen Gründen – aber auch vor Seite 2 von 3 dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität der Berufsfelder der Architekten und Planer – werden gestufte, 5-jährige Studiengänge entwickelt und akkrediert. Damit herrscht Kompabilität mit den europäischen und insbesondere außereuropäischen Hochschulen. Die Folge sind ein zunehmender Austausch mit anderen Hochschulen und eine ständig wachsende Mobilität der Studierenden. Der Blick nach vorn und nach außen ist der richtige Weg.

Warum nun betreiben die Kammern in Deutschland die Suche nach dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ und wollen ausschließlich das 4-jährige Architekturstudium in das Musterarchitektengesetz und dann sicher auch in die Kammergesetze aufnehmen? Sind sie näher an politischen – inzwischen in Frage gestellten – Zielen orientiert als an den Entwicklungen in den Hochschulen und im Berufsstand? Sicher – das tangiert überwiegend juristische Fragen – aber wissen die Agierenden, was Architekturlehre ausmacht? Warum werden bei einem derart wichtigen Thema, das direkt in die Hochschulen hineinwirkt, nicht Experten z.B. aus dem Akkreditierungsverbund, also einer Organisation, der Fachbereichstage, Berufsverbände und Kammern angehören, beteiligt? Die Vertreterversammlungen sind dringend aufgefordert, sich mit der Entwicklung in den Hochschulen intensiver zu befassen. Die Lehre der Architektur ist nicht individuell vertretbar oder verhandelbar. Es geht um Transparenz, aber insbesondere um die Bildung der nachwachsenden Generation und damit um die Zukunft unserer Profession.

Die gewählten Vertreter sind die bestimmenden Organe. Für Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Hochschulen ist die Hochschullandschaft nach Bologna schwerer zu verstehen, weil sie noch anders studiert haben. Deshalb vorweg: die Position der BAK, lediglich das 4-jährige Studium mit 2-jähriger Praxis als Minimalanforderung vorzutragen, ist in vielfacher Sicht – gerade für nicht in der Hochschulentwicklung verankerte Personen – missverständlich und aus Sicht der Hochschulen, die ein akkreditiertes und zunehmend auch notifiziertes Architekturstudium anbieten, sogar kontraproduktiv. Es erscheint grundsätzlich fragwürdig, warum die BAK als Repräsentant des Berufsstands einen erreichten hohen Ausbildungsstand nicht hervorhebt, sondern stattdessen Tendenzen zur Verkürzung der Ausbildungszeiten verstärkt.

Ein kurzer Rückblick soll die Entwicklung der letzten 30 Jahre in Erinnerung zu rufen. Nach der Gründung der Fachhochschulen in den 70er-Jahren werden 6-semestrige Studiengänge zu 8-semestrigen Studiengängen weiterentwickelt, um den Absolventen den Zugang zu der Liste zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, zwei praktische Studiensemester so mit theoretischen Inhalten zu begleiten, dass sie als Theoriesemester anerkannt werden. In den 90er-Jahren startet der Bologna-Prozess. Das 4-jährige Theoriestudium in Architektur wird zunächst als Mindeststandard festgesetzt. So arbeitet z.B. in Bayern die Fachrichtungskommission Architektur beim Ministerium an der Umwidmung der Praxissemester in Theoriesemester als Vorstufe des anstehenden Reformprozesses. Später geben die Kultusministerien die Qualitätssicherung an den Akkreditierungsrat ab. Dieser regelt und organisiert das deutsche Akkreditierungssystem. Durch seine Tätigkeit trägt er wesentlich zur Sicherung und Entwicklung der Qualität von Studium und Lehre in Deutschland und damit zur Verwirklichung eines gemeinsamen Europäischen Hochschulraums bei. Die Gestaltung der Studiengänge liegt dabei allein in der Verantwortung der Hochschulen bzw. Fakultäten. Akkreditierung soll feststellen, ob und inwieweit den gesetzlichen Vorgaben bei der Gestaltung der Studiengänge Rechnung getragen wird. Fachlichkeit und Beruflichkeit im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsbildung sind aufgrund der Gesetzeslage und der Akkreditierungsregeln bei jedem Studiengang zu gewährleisten und müssen folglich auch in der Akkreditierung Niederschlag finden. Es geht dabei um ein breit angelegtes Berufsverständnis, um eine Orientierung an Berufsfeldern, nicht dagegen an einzelnen Arbeitsplätzen respektive politischen Zielsetzungen.

Die Kammergesetze fordern in der Regel als Voraussetzung für den Listeneintrag eine nachfolgende praktische Tätigkeit in der betreffenden Fachrichtung von mindestens zwei Jahren nach dem Studium – begleitet durch berufsfördernde Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen der Akademien. Das ist gut und richtig. Hochschullehre kann nur bis zu einem gewissen Punkt Abläufe der Praxis abbilden und lehren. Nun liegt aber genau an dieser Stelle ein weiterer wunder Punkt in der Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie in nationales Recht. Das „Berufspraktikum“ in Verbindung mit dem 4-jährigen Studiengang gemäß Richtlinie und die „zweijährige Berufspraxis“ nach Baukammergesetz sind nicht dasselbe. Das „Berufspraktikum“ stellt eine Kompensation für fehlende Studieninhalte dar, die „zweijährige Berufspraxis“ sollte, unabhängig von der Studienvariante immer nachgewiesen werden und entsprechend der bisherigen Praxis der Eintragungsausschüsse für alle Fachrichtungen geprüft werden. Die Berufsanerkennungsrichtlinie definiert dagegen in Artikel 3 das „Berufspraktikum“ als einen Zeitraum der Berufstätigkeit unter Aufsicht.

Es ist unverständlich, warum sich die BAK-Projektgruppe über diese Differenzierung hinwegsetzt und auf eine vermeintlich „künstliche“ Unterscheidung zwischen Berufspraxis und Berufspraktikum für alle vier Fachrichtungen verzichtet. Und es ist höchst fraglich, ob es im Sinn der Berufsanerkennungsrichtlinie ist, „Berufspraxis“ und „Berufspraktikum“ gleichzuschalten. Wenn die zweijährige „Berufspraxis“ in Deutschland für alle Fachrichtungen zusätzlich nachzuweisen ist, dann gilt es zumindest festzustellen, dass das vierjährige Studium gemäß Definition erst mit zwei Jahren „Berufspraktikum“ einem fünfjährigen Studium gleichwertig ist. Das Berufspraktikum muß also das Defizit gegenüber einem fünfjährigen Studium so kompensieren, dass im gleichen Umfang Inhalte gemäß Art. 46 („11 Punkte“) durch zugelassene Personen vermittelt werden.

Die jetzigen Formulierungen des Entwurfs des Musterarchitektengesetzes werden an dieser Stelle den Notwendigkeiten nicht gerecht. Der 5-jährige Studiengang findet keine Erwähnung. Wenn man der größeren Komplexität im Architekturberuf gerecht werden will, muss man eindeutig für ein fünfjähriges Studium zuzüglich einer zweijährigen Berufspraxis eintreten, so wie es von vielen in Deutschland, zwischenzeitlich notifizierten Studiengängen angeboten wird. Somit entspricht das Regelnotifizierungsverfahren den Vorgaben von UNESCO/UIA. Es ist nicht verständlich, warum das Musterarchitektengesetz sich dieser bereits zum großen Teil vollzogenen Entwicklung widersetzen soll. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, in Zusammenarbeit mit den Kammern und Hochschulen die Bologna-Reform an den Hochschulen deutlich herauszustellen und die Harmonisierung im europäischen Bildungsraum aktiv zu unterstützen. Dazu gehört es, jetzt beide Mindeststudienzeiten in das Musterarchitektengesetz zu übernehmen.

§ 4 Ziff. (1) könnte dementsprechend lauten: „Eingetragen wird, wer ein der Fachrichtung Architektur entsprechendes Studium mit mindestens fünf Studienjahren auf Vollzeitbasis oder ein Studium mit einer mindestens vierjährigen Regelstudienzeit und einem mindestens zweijährigen Berufspraktikum, in den anderen Fachrichtungen ein entsprechendes Studium mit einer mindestens vierjährigen Studienzeit an einer deutschen Hochschule entsprechend den grundlegenden theoretischen und praktischen Ausbildungsinhalten erfolgreich abgeschlossen hat und danach eine mindestens zweijährige Berufspraxis ausgeübt hat; dabei sind die für die spätere Berufsausübung erforderlichen Fortbildungsmaßnahmen wahrzunehmen.“ Die zunehmende Komplexität von gestalterischen, technischen, funktionalen, organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen, die an Architektinnen und Architekten in Zukunft verstärkt gestellt werden, erfordert eine Ausbildung von neuer und erhöhter Qualität. Ein mindestens 5-jähriges Vollzeitstudium in kombinierten Bachelor- und Masterstudiengängen erfüllt die UNESCO/UIA – Standards, führt zur Kammerzulassung und qualifiziert mit dem Master-Abschluss weltweit zum Beruf des Architekten. Nur das kann das gemeinsame Ziel sein. Statt aber zu überlegen, wie dieser Wandel unterstützt werden kann, scheinen kurzgedachte Kompromisse im Vordergrund zu stehen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der überwiegende Teil der gewählten Vertreter unseres Berufsstands sich mit einem Bildungsweg 2. Klasse begnügt und lieber in der bildungspolitischen Steinzeit einrichten möchte als die Zukunft aktiv mitzugestalten.