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Nachbericht „Verbietet das Bauen!“

6. April 2016

Diskussionsabend am 4. April 2016, 19 Uhr
Kongresshalle Augsburg

Veranstalter: Treffpunkt Architektur Schwaben, Fachforum Nachhaltige Stadtentwicklung, BDA Bayern

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Foto: Eckhart Matthäus

Begrüßung:
Frank Lattke, BDA Kreisvorsitzender Augsburg-Schwaben

Gäste:
Karlheinz Beer, BDA Landesvorsitzender
Daniel Fuhrop, Architekturkritiker und Buchautor
Dr. Kurt Gribl, Oberbürgermeister Stadt Augsburg
Dr. Michael Hirsch, Philosoph und Politikwissenschaftler
Dr. Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer Wohnungsbaugesellschaft Stadt Augsburg

Moderation:
Roman Adrianowytsch und Dr. Jörg Heiler

Allein schon der Veranstaltungsort macht deutlich: es geht um Kultur – genau gesagt, um Baukultur. Immer wenn sich die Tür zum Foyer für wenige Sekunden einen Spalt breit öffnet, dringen leise Klänge der Augsburger Symphoniker zwischen den Sitzreihen hindurch bis vor zum Podium im Augsburger „Kongress am Park“. Dass die 170 aufgestellten Stühle bis auf den letzten Platz besetzt sein würden, hätten sich die Veranstalter wohl nicht träumen lassen. Denn das Thema war für einen Berufsverband der Architekten alles andere als konstruktiv: „Verbietet das Bauen!“ postuliert dann auch der Autor des gleichnamigen Buchs, Daniel Fuhrhop, bei seinem Impulsvortrag. „Bauwut zerstört Baukultur“ unterstützt ihn Frank Lattke in seiner Einführung. Der „Einheitsbrei der immer gleichen Einfamilienhaussiedlungen mit Teerflächen dazwischen“ hätte die Landschaft des Allgäus und den Blick auf die Alpen in nur wenigen Jahren verbaut.

„Bauen ist das Entwicklungselexier einer Stadt!“ kontert Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl in seinem Grußwort, das er eigentlich als „Schimpfwort“ auf den Veranstaltungstitel verstanden haben will. „Wer von den Anwesenden hier ist denn obdachlos, eine alleinerziehende Mutter oder sucht aus einem anderen Grund dringend eine Wohnung?“ Seine Wirkung hat er damit nicht verfehlt, denn allen wird klar: Zu oft diskutiert die Fachwelt des Bauens über die Bedürfnisse der Gesellschaft, viel zu selten aber mit den Bedürftigen.

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Foto: Eckhart Matthäus

Sechs Millionen Wohnungen umsonst gebaut?
Nach diesem ersten Schlagabtausch gleich zu Beginn stellt Daniel Fuhrhop, in einem Kurzvortrag die wesentlichen Thesen seines Buches vor:“Ich will das Bauen nicht verbieten, sondern überflüssig machen. Vor zwanzig Jahren gab es in Deutschland bei einer Bevölkerungszahl von ca. 80 Mio Menschen 36 Mio Wohnungen. Heute ist die Bevölkerungszahl fast identisch, es gibt aber inzwischen 42 Mio Wohnungen. Heißt das, wir haben sechs Millionen Wohnungen umsonst gebaut?“ Um der weiteren Zersiedelung mit immer gleichen Einfamilienhaussiedlungen Einhalt zu gebieten läge die Zukunft nicht im Neubau, sondern in der Ausschöpfung des Baubestands durch unkonventionelle kreative Ideen, relativiert Furhop seinen bewusst provokant gewählten Titel. Umnutzung, neue Wohnformen, Revitalisierung alter Dorfkerne seien die Alternativen. Ein Blick über den Tellerrand könne da nicht schaden. Nicht nachvollziehbar sei die kommunale Bindung im sozialen Wohnungsbau auf nur 15 Jahre. In Wien beispielsweise blieben Sozialwohnungen für immer im Besitz der Stadt. Die Stadt Amsterdam wiederum berät Eigentümer von leerstehenden Immobilien intensiv bei der Umnutzung und das kommunale Förderprogramm „Jung kauft Alt“ hätte sich ausgehend vom nordrhein-westfälischen Hiddenhausen auf bereits 50 weitere Gemeinden ausgebreitet. In schrumpfenden Regionen und Dörfern oder Städten wie Cottbus sei es fatal, wenn Dorfkern und Innenstädte samt Infrastruktur verfallen und gleichzeitig extensiver Neubau von Schlafsiedlungen betrieben wird.

Wer bezahlt Architekten, die das bauen verhindern?
Das zweite Statement als Vorlage für die anschließende Diskussion hält der Münchner Philosoph und Buchautor Michael Hirsch, der gegen eine unbegrenzte Wachstumsideologie eintritt und für eine schöpferische Demokratie selbstbestimmter Bürger. Für ihn ist die Krise des qualitativ hochwertigen Planens und Bauens nur eines von vielen Symptomen überkommener Gesellschaftsstrukturen. „Wer wird einen Architekten honorieren, der seinem Bauherrn rät, nicht zu bauen, obwohl das für den Bauherren viel besser wäre?“ Das größte „kulturelle Massaker“ sieht Hirsch in der Ausbildungsstruktur und dem verschulten Hochschulstudium seit dem Bologna Prozess, überhaupt müssten Architekten ihr Berufsbild und Selbstverständnis neu definieren. Generell sieht Hirsch für alle Berufsgruppen eine strukturelle Korruption der Arbeitsbedingungen. „Was hindert uns daran, noch konsequenter über Lösungen und Prozesse nachzudenken, die die Gesellschaft kreativ weiterentwickeln? Wir brauchen eine dritte Moderne!“ Mit seinen Forderungen nach einem bedingungslosen Grundgehalt, Enteignung von Büroflächen zur Umwidmung in Wohnungen und der Halbierung der Arbeitszeit von Verwaltungsangestellten und Beamten, um ihre freiwerdenden Kräfte für gesellschaftliches Engagement zu gewinnen, legt Michael Hirsch schließlich genügend Zündstoff aus für eine hitzige Diskussion. Roman Adrianowytsch und Jörg Heiler forderten als Moderatoren das Podium mit klugen Fragen und insistierten an mancher Stelle um Facetten auszuloten.

Allgemeine Krise – Vorbildliches Augsburg?
Mangelnde Kreativität wollen sich weder der Oberbürgermeister, noch Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer der Augsburger Wohnungsbaugesellschaft vorwerfen lassen. Die Stadt versuche bereits alle Potenziale der Nachverdichtung auszuschöpfen. Wenn aber Neubauten ein Geschoss höher geplant werden, bedeute das in vielen Fällen ein weiteres Tiefgaragengeschoss für die erforderlichen Stellplätze, das mit immensen Kosten verbunden ist. Dieses Geld könne man besser für weiteren Wohnraum an anderer Stelle einsetzen. Schließlich habe die gesamte Stadtverwaltung kreativ zusammengearbeitet, um das Projekt Grandhotel Cosmopolis zu verwirklichen. Und tatsächlich, die Umnutzung des leerstehenden Altenheims zu einer „sozialen Plastik“, in der 65 Asylbewerber mit den Gästen der 16 Hotel- und Hostelzimmer unter einem Dach wohnen, hat deutschlandweit als vorbildliches Integrationsprojekt für Aufsehen gesorgt. Auf die Frage, weshalb eine Abstimmung unter den Gemeinden zur Vermeidung von Zersiedelung, Schaffung von Wohnraum und Bündelung notwendiger Infrastruktur so schwierig ist, konnte aber auch OB Kurt Gribl keine zufriedenstellende Antwort geben: „Gewerbegebiete bringen den Gemeinden Geld, sozialer Wohnungsbau dagegen kostet Geld- so einfach ist das.“ Die Politik kann eine Gemeinde nicht zwingen Stadtentwicklung in Abstimmung mit Nachbargemeinden umzusetzen.

„Kann sich die Baukultur wirklich fortentwickeln, wenn wir nur das bauen, was unter den jetzigen ökonomischen Bedingungen richtig scheint? Die Aufgabe von Architektur ist es, Mehrwert zu schaffen. Doch wie soll das gelingen, wenn unser Werk nur noch als Produkt, als Ware gesehen wird?“ fragt Karlheinz Beer, Vorstand der Bayerischen Architektenkammer und Landesvorsitzender des BDA Bayern in die Runde und sieht eine Bringschuld auch bei der eigenen Profession: „Viele entscheidende Stellschrauben der Baukultur liegen außerhalb des Architektenberufs und werden in der Politik entschieden. Stadträte kennen die Bedürfnisse ihrer Mitbürger. Wir Architekten müssen diese Gremien und Bürgerinitiativen mit unserer fachlichen Kompetenz viel mehr unterstützen, indem wir uns selbst politisch engagieren. Architektenkammern dürfen nicht nur verwalten, sie müssen sich aktiv einmischen!“

Was also hat der Abend gebracht? Werden die Architekten und Politiker das Bauen verbieten? Mitnichten. Die Veranstaltung hat gezeigt, dass es sich lohnt, auch radikale Positionen in den Diskurs mit einzubeziehen und auf die Realität der täglichen Praxis prallen zu lassen. Der Titel und der Verlauf der Veranstaltung haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Vielleicht werden beide Berufsgruppen sich die Freiheit nehmen, angeregt durch andere Perspektiven wieder unbefangener über das eigene Tun nachzudenken. Auch eines haben die Wortbeiträge gezeigt: Ein Anfang ist gemacht. Die positiven Beispiele sollten noch stärker kommuniziert werden.
In einem Punkt waren sich alle Diskutanten einig: Baukultur muss in der Mitte der Gesellschaft ankommen.

Frank Kaltenbach