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BDA Bayern und architekturforum allgäu zum Beruflichen Schulzentrum Kempten / Allgäu

4. Mai 2016

Mit großer Sorge haben der BDA Bayern und das architekturforum allgäu die jüngsten Pressemitteilungen zum Beruflichen Schulzentrum in Kempten zur Kenntnis genommen, in denen auch ein Abriss infolge des vernachlässigten Bauunterhalts in den Raum gestellt wird.

Ein solcher Gedanke lässt nach unserer Auffassung den ohne Frage vorhandenen baukulturellen und gesellschaftlichen Wert dieses Gebäudeensembles komplett außer Acht.

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Der von den Münchener Architekten Bauer, Kurz, Rauch, Stockburger entworfene Schulcampus gilt als besonders gelungener Lernort für junge Menschen. Generationen von SchülerInnen und LehrerInnen haben einen emotionalen Bezug zu Ihrer Ausbildungs- und Unterrichtsstätte aufgebaut, die auf dem Gelände des ehemaligen Kopfbahnhofs als pavillonartige Struktur konzipiert wurde. Die Baukörper der einzelnen Schuleinheiten gruppieren sich entlang einer Platzabfolge mit differenzierten Aufenthaltsbereichen, ein öffentliches Fußwegesystem stellt die Verknüpfung mit der angrenzenden Stadtstruktur her. Vom stadtseitigen Hauptzugang über eine Freitreppe auf das Sockelgeschoss staffeln sich die Volumen von den hohen Unterrichtsgebäuden nach Süden zu den niedrigeren Sportanlagen. Die einzelnen Unterrichtseinheiten sind um großzügige, mit offenen Treppen versehene Hallen auf versetzten Ebenen angeordnet. Die Pausenflächen bieten dadurch vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation zwischen LehrerInnen und SchülerInnen in offener, ungezwungener Atmosphäre. Die horizontale Fassadengliederung mit geschlossenen Backsteinflächen und mit ihren teils durch Balkone  und Fallarmmarkisen versehenen großen Glasflächen und Metallpaneel – Brüstungen ist entsprechend dem Gebäuderaster in einer einheitlichen Grundstruktur durchgebildet. Die Anordnung der Elemente folgt der inneren Organisation der Gebäude und vermittelt ein lebendiges Erscheinungsbild sowohl von Solidität als auch von Transparenz und Offenheit. Zu Recht wurde das Gebäudeensemble daher im Jahr 1982 mit dem hoch angesehenen BDA-Preis Bayern ausgezeichnet und damit seine architektonischen und städtebaulichen Qualitäten gewürdigt, die nicht einfach mir nichts dir nichts der Abrissbirne geopfert werden sollten. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang zudem die Tatsache, dass in bestehender Bausubstanz ein hohes Potential an sogenannter „grauer Energie” gespeichert ist, die bei einer Beseitigung vollständig vernichtet würde. Für eine weitere Entscheidungsfindung empfehlen wir dringend eine sorgfältige Untersuchung, in der auf Basis eines vorausschauenden schulischen Anforderungsprofils die Vor- und Nachteile einer nachhaltigen Sanierung geprüft werden. Falls dies auch im Vergleich zu einem möglichen Neubau geschehen soll, müssen hierbei sämtliche Bewertungskriterien objektiv einbezogen werden. Dazu zählen quantitative Kriterien wie Kosten für Investition und Unterhalt, die bereits erwähnten ökologischen Prüfsteine und ebenso das Raumangebot, das eine Schule ihren SchülerInnen und LehrerInnen bietet. Gerade hier scheint uns ein wesentlicher Vorteil des mit großzügigen Räumen ausgestatteten bestehenden Schulzentrums gegenüber einem Neubau zu liegen, bei dem heute die Gefahr besteht, nicht mehr mit den gleichen Flächen gebaut zu werden oder am Ende sogar als sogenannter „Bestellbau” mit einseitigen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen und geringer Halbwertzeit abgewickelt zu werden. Zu befürchten steht auch, dass ein Neubau an einen anderen, weniger zentralen Ort ausgelagert und das frei werdende Gelände in bester Lage einer nicht öffentlichen Nutzung zugeführt wird. Zu den Bewertungskriterien gehören jedoch gerade auch gesellschaftliche und kulturelle Qualitäten, die für die Identität eines Ortes und für eine lebenswerte Stadt – besonders für eine Hochschulstadt wie Kempten – von unschätzbarer Bedeutung sind. Wenn eine Stadt nach nur wenigen Generationen – und in diesem Fall nach nur einer oder maximal zwei – ihre den Alltag prägenden und hierin verwurzelten Gebäude und damit Lebensräume einfach so immer wieder austauscht gegen neue Gebäude, dann ist es schwer, die ältere und jüngere Geschichte einer Stadt zu verstehen und sich damit zu identifizieren. Aber ohne dieses Verstehen und ohne eine Identifikation wird es keine Verbundenheit mit einer Stadt und ihrem Leben geben. Hier steht Kempten – einmal wieder – vor der Entscheidung, im Alltag der Menschen vertraute Stadtbausteine aus der „mentalen Landkarte” zu löschen – siehe Zündholzfabrik, Sudhaus und Brauhausgelände etc. – oder einen bedeutenden Stadtbaustein wie das bestehende Schulzentrum innovativ weiterzuentwickeln.

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Somit eine Vielzahl von guten Gründen, die unserer Ansicht nach dafür sprechen, eine Sanierung und deren große Potentiale fachlich fundiert zu untersuchen und den leichtfertig geäußerten Abrissgedanken äußerst kritisch mit höchster Vorsicht zu hinterfragen, und zwar unter Berücksichtigung aller finanziellen, schulischen, ökologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Argumente.

Jörg Heiler, Franz G. Schröck,
Vorstandsmitglied Geschäftsführer
BDA Landesverband Bayern architekturforum allgäu