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BDA in Fahrt – Bratislava

16. November 2017

Die inzwischen sechste Reise der Exkursionsreihe „BDA in Fahrt“, organisiert und geleitet von Wolfgang Jean Stock, führte uns in diesem Jahr vom 13. bis 16. September in den Südosten nach Bratislava in die Slowakei. Nach Ljubljana und Prag war dieses erneut eine Reise in eines der Länder, die als Teil der österreich-ungarischen Doppelmonarchie von dieser und der Architektur der großen Lehrmeister aus Wien geprägt waren und mit dem Ende und Zusammenbruch der Monarchie als junge Nationalstaaten mit eigenen Bauaufgaben auf der Suche nach einer nationalen Identität, besonders auch über die Architektur, konfrontiert waren; Länder und Städte, die uns geografisch und kulturell einerseits sehr nah sind, jedoch durch Krieg, Sozialismus und die Öffnung nach Europa mit den nachfolgenden Einflüssen einer Investorenarchitektur eine sehr wechselvolle und andere Baugeschichte als wir erlebt haben.

Die Hauptstadt der Slowakei liegt in direkter Nähe der Grenzen zu Österreich und Ungarn, nur 50 km von Wien entfernt, topografisch sehr markant am Übergang zwischen den letzten Ausläufern der Karpaten und der ungarischen Tiefebene, deren Übergang unterhalb des markanten Burgbergs durch den Flussverlauf der Donau markiert wird. Die historische Stadt erstreckt sich östlich unterhalb des Burgbergs und der dortigen wieder errichteten Burganlage auf der Nordseite der Donau. Der Topografie entsprechend erfolgte die Stadtentwicklung zunächst nach Osten und erst mit den großen Wohnungsbauprogrammen des Sozialismus jenseits der Donau nach Süden mit einer Plattenbausiedlung, die zu den größten Europas zählt, aber nicht Teil des Besuchsprogramms war. Von hier aus spannt eine Autobahnbrücke als spannungsvolles Komplementär zur Burganlage asymmetrisch, von einem Pylonen am gegenüberliegenden Ufer gehalten, hinüber in die Altstadt und zerschneidet zwischen dem mittelalterlichen St. Martins Dom und Burgberg die Altstadt.

Als Provinzhauptstadt des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn war die Baukultur von den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten des Landes geprägt; Österreicher, Ungarn, Slowaken und eine starke jüdische Gemeinde bestimmten die Architektur der vorletzten Jahrhundertwende auf unterschiedliche Art. Zu dem Miteinander noch ablesbarer unterschiedlicher Bauströmungen wurden moderne, faschistische und sozialistische Bauelemente hinzugefügt, die unterschiedlich gut erhalten, ein sehr heterogenes, jedoch auch spannungsvolles Bild ergeben, mit starken Kontrasten, und so die Geschichte der Hauptstadt der Slowakei ablesbar machen. Dementsprechend abwechslungsreich und heterogen war das von Wolfgang Jean Stock zusammengestellte Besichtigungsprogramm, das mit Unterstützung der Abteilung für Architektur an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, Frau Prof. Dr. Henrieta Moravčiková, entstand und durch ihren Mitarbeiter Dr. Peter Szalay über die gesamte Zeit fachlich versiert und sehr engagiert begleitet wurde. Dazu gehörte neben den Gebäuden in Bratislava auch der Besuch der alten Kurbadeorte Piešt’any und Trenčianske Teplice mit herausragenden Gebäuden der frühen Moderne, der 1960er-Jahre und des Brutalismus.

Auf der Anreise war es möglich, als Zwischenstopp das Regierungsviertel Österreichs in St. Pölten zu besichtigen, das für die 1986 zur Landeshauptstadt bestimmten Stadt in einem großen Kraftakt entstand und nach Wettbewerben im Rahmen eines großen Bauprogramms mit Beteiligung von Klaus Kada (Festspielhaus), Paul Katzberger (Landesarchiv, Landesbibliothek), Ernst Hoffmann (Klangturm) und Hans Hollein (Ausstellungshalle, Shed-Halle) bis 1997 fertiggestellt wurde. Der Besuch 20 Jahre nach Fertigstellung führte unter den Exkursionsteilnehmern zu intensiver Diskussion über die Dauerhaftigkeit mancher Architekturströmungen, deren Gestaltungselementen und baukonstruktiver Ausführung, über den Umgang mit dem Stadtraum zwischen den repräsentativen Bauten und die Gestaltung der Platz- und Freiflächen im Allgemeinen. Mit diesem sehr polarisierenden Besuch eines neuen westlichen Regierungsviertels war die Reisegesellschaft bestens eingestimmt auf das heterogene Besichtigungsprogramm, das uns in und um Bratislava erwartete.

Es gehört zu den Exkursionen des BDA, dass die Stadtrundgänge und Fahrten zu den einzelnen ausgewählten Gebäuden und Gebäudekomplexen ebenso konditionell anspruchsvoll, wie anregend abwechslungsreich sind. Im Gegensatz zum Dauerregen von Helsinki wurden wir dieses Jahr von herrlich spätsommerlichem Wetter verwöhnt, das dem Besichtigungsprogramm und dem gemeinsamen Austausch unter den Teilnehmern zugutekam. Dieses wurde durch den besonderen Charme der Stadt, die sehr kundige und engagierte Führung von Dr. Peter Szalay und durch die Ortskenntnis unserer Mitreisenden Andrea Beier immer wieder zusätzlich bereichert. So gelang es in kurzer, aber intensiver Zeit ein reichhaltiges Bild der Stadt, der vielfältigen baulichen Entwicklungen und der slowakischen Kultur zu erhalten.

Es wäre müßig, nun die einzelnen besichtigten Bauten mehr oder minder chronologisch aufzuzählen, letztendlich erhielten wir in kurzer Zeit eine sehr umfassende Einführung in die Architektur- und Landesgeschichte. Zu den Höhepunkten der Reise zählt sicherlich das Rundfunkgebäude in Bratislava von Štefan Svetko, Štefan Durkov und Barnabáš Kissling (1967-85), die markante Brücke Most SNP über die Donau von Josef Lacko, Ladislav Kušnir, Ivan Slameñ (1968-73), nicht zuletzt auch wegen des beeindruckenden Rundblicks, wie auch das Krematorium von Ferdinand Milučkÿ (1968), einem Zeugnis des „Prager Frühlings“ in der Architektur, trotz der unglücklichen Eingriffe im Bauunterhalt der Außenflächen. Außerordentlich bewegend war es, über die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Bratislavas bei der Besichtigung der Chatam-Sofer-Gedenkstätte zu erfahren, einer außerordentlich durchgestalteten Gedächtnisstätte mit besonderer Handwerklichkeit in der Ausführung.

In Piešt’any wurden wir von der Leiterin des Konzerthauses von Ferdinand Milučkÿ (1980) geführt, die uns begeistert von der Wertschätzung über dieses Gebäude, seine rigoros brutalistisch-modern gestaltete Architektur und die in Rot sehr dominant gestalteten und tadellos erhaltenen Innenausbauelemente berichtete. Die nahe Stadtbrücke über den Fluss als Promenade für Fußgänger und Radfahrer von Emil Belluš (1931) erweckte Assoziationen zur gedeckten hölzernen Stadtbrücke in Bassano del Grappa und zeigte die Qualitäten einer derartigen autoverkehrsfreien Verbindung von zwei Stadtteilen über einen Fluss als Erlebnisraum, Aufenthaltsort und als sehr zeitgemäßes städtebauliches Element.

Gleichermaßen begeistert wie erschüttert war die Reisegruppe in Trenčianske Teplice bei dem Besuch des Sanatoriums „Machnáč“ von Jaromir Krejcar (1932), einer exzellenten Architektur der Bauhausmoderne, das als von Vandalismus geprägte Ruine im Kurpark des Ortes steht. Trotz Absperrungen gelang es einem Großteil der Exkursionsteilnehmer in das Gebäude einzusteigen und so die trotz des Verfalls schönen Innenräume, Dachterrassen und Treppenhäuser zu besichtigen. Einige der großen Klappschiebefenster waren sogar noch immer beweglich und in ihrer schwebend leichten Eleganz und konstruktiven Feinheit beeindruckend. Dieses als nationales Denkmal geschützte Gebäude findet trotz großer öffentlicher Fördermöglichkeiten bislang keinen Investor für einen Erhalt und eine angemessene Weiternutzung.

Da war es beim im Anschluss besichtigten Umbau des international gerühmten Freibades „Grüner Frosch“ von Bohuslav Fuchs aus dem Jahr 1937 zwar bedauernswert, dass die architektonischen Feinheiten durch die Sanierung stark relativiert wurden, andererseits jedoch war so die in einer Waldlichtung am Berghang landschaftlich sensibel eingebettete Anlage im Sinne von Bohuslav Fuchs erhalten geblieben und in der Nutzungsart weiterhin relativ unverändert erlebbar.

Nach drei intensiven Besichtigungstagen erfolgte am Samstag, den 16. September, die Rückreise mit dem Bus, mit vielen Gesprächen unter den Exkursionsteilnehmern über die gemeinsamen Eindrücke, die Qualität und Vielfalt, die wir in der Slowakei gemeinsam kennenlernen konnten. Die erforderliche Reisepause wurde nun mit einem Stopp in Langenlois beim Loisium von Stephen Holl (2004) gemacht. Es war, ähnlich wie beim Regierungsviertel St. Pölten, interessant, das international publizierte Gebäude persönlich und näher zu betrachten. So faszinierte einerseits die rigorose skulpturale Durcharbeitung des Baukörpers, zeigte die Möglichkeiten von Architektur als Marketing-Instrument in vielen Facetten auf, andererseits empfanden es viele als polarisierend und relativ zu den Reiseeindrücken aus Bratislava befremdlich. So wurde die Mittagspause nicht nur kulinarisch, sondern auch inhaltlich zu einer weiteren Bereicherung der Reise.

Insgesamt ist es auch mit der inzwischen 6. Exkursion „BDA in Fahrt“ gelungen, das bisherige hohe Niveau der Exkursionen mit einem hochkarätigen Programm fortzuführen, dadurch über unsere Nachbarländer und deren Architektur zu lernen, den fachlich-kollegialen Austausch untereinander zu pflegen und für die Arbeit im Alltag wertvolle Denkanstöße und Impulse zu erhalten.

John Höpfner

 

Blick auf Bratislava

 

Stadtrundgang mit Dr. Peter Szalay, Gruppenfoto vor dem Rundfunkgebäude

 

Blaue Kirche St. Elisabeth, Ödön Lechner, 1908

 

Weitere Bilder folgen in Kürze…