Themen

Nachbericht zum Tagessymposium „Kein schöner Land?“

8. Mai 2018

Landshut Salzstadel 13.04.2018

Flächenfraß, Zersiedelung, Verlust der Heimat im ländlichen Raum. Das Zurückdrängen der Landschaft durch Siedlung nimmt besonders in den nördlichen Regionen Bayerns ein bisher nicht gekanntes Ausmaß an. Wo bis vor kurzem fruchtbare Felder den Bauern die besten Ackerböden boten, wuchern Einfamilienhaussiedlungen um kleine gewachsene Ortskerne, breiten sich an Autobahnknotenpunkten tausende Quadratmeter große sterile Dachflächen über Logistik- und Entwicklungszentren aus.

Diese Veränderungen der Umwelt sind für uns alle und besonders für die Betroffenen vor Ort zum Teil dramatisch, aber sind sie ein Thema für Architekten und Stadtplaner?

Die Bayerische Landesentwicklung ist schon länger auf der Tagesordnung des BDA Bayern. Es ist der Initiative der Architekten Michael Leidl und Dr. Jörg Heiler zu verdanken, dass mit dem Symposium „Kein schöner Land?“ verschiedenste Experten zusammenkamen, um auch politisch – zum Beispiel mit der Einflussnahme auf das Landesentwicklungsprogramm LEP – aktiv zu werden. Dass sich die Politik der Problematik bewusst ist, zeigte die Begrüßungsrede von Erwin Schneck, dem 3. Bürgermeister von Landshut. „Mit unserer Kulturlandschaft passt etwas nicht mehr, Anregungen und Unterstützung des BDA nehmen wir gerne an“.
Prof. Lydia Haack, Landesvorsitzende des BDA Bayern, betonte die Verantwortung der Architektenschaft, aber auch die Komplexität der Aufgabe. „Nachhaltige Siedlungsplanung ist ein schwieriger Prozess, der gestaltet und gesellschaftlich begleitet werden muss. Wir müssen den Widerspruch lösen, neuen Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig den Flächenverbrauch in Schach zu halten.“
„Viele Architekten beschäftigen sich lieber mit den großen Metropolen, der ländliche Raum in der eigenen Heimat ist für die meisten ein weißer Fleck auf der Landkarte“, wandte sich Jakob Oberpriller, Kreisvorsitzender des BDA Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz bei seiner Begrüßung an die eigene Zunft.

Während des Symposiums hat sich eines gezeigt: Architekten und Stadtplaner sind geradezu prädestiniert, die Landesplanung und Raumentwicklung mitzugestalten. Denn was diesen noch immer fehlt, gehört in der Architektur und im Städtebau seit Jahrzehnten zur Planungskultur: klare Regeln für den Bestandsschutz, gestalterische und ökologische Evaluationen, Bürgerbeteiligung und der Trend zu mehr Dichte anstelle eines größeren Flächenverbrauchs. In der Landeshauptstadt München werden auch keine Einfamilienhaussiedlungen mehr gebaut, denn dort ist der Boden teurer – aber ist er auch wirklich wertvoller als in der Region?

Als Veranstaltungsort bot der Salzstadel in der Altstadt von Landshut den idealen Rahmen. Kaum eine Stadt in Bayern wächst so schnell wie Landshut, das den nordöstliche Schwerpunkt der Metropolregion München bildet: bei einer Bevölkerungszahl von 70400 Einwohnern kommen hier 1000 neue Wohnungen jährlich dazu. In den umliegenden Gemeinden breiten sich die Automobilindustrie sowie Anlagen zur Energiegewinnung zunehmend aus und sorgen für einen weiteren Impuls an großflächigen Baumaßnahmen.

In diesem Spannungsfeld war auch das Programm angelegt, das die Veranstalter in drei inhaltliche Teile gliederten: Das erste Panel war dem Aufzeigen des Status Quo im Umland von Landshut an Hand von Bild- und Datenmaterial gewidmet. Im zweiten Teil waren Gäste aus anderen Disziplinen und dem benachbarten Ausland eingeladen, um Akteure und Kräfte zu identifizieren, die bei der Entstehung gebauter Umwelt eine Rolle spielen. Der dritte Teil war den Zielen für eine neue Raumordnung und neuen Leitbildern für Kulturlandschaften gewidmet. Auch um der Frustration und scheinbaren Machtlosigkeit gegen die aktuellen Entwicklungen entgegenzuwirken, klare Ziele zu benennen und die Handlungsfelder und Strategien einer Einflussnahme auszuloten.

Michael Leidl, BDA-Landesvorstand und Referent für Raum-und Flächenplanung steckte die Zielsetzung für den Klimaschutzplan ab: Bis 2050 soll ein Kreislauf des Flächenverbrauchs erreicht werden. Dafür sei eine Verschlankung des Landesentwicklungsplans dringend erforderlich, ein LEP »das den Menschen eine Zukunftsvorstellung gibt an der sie Lust haben mitzuwirken.« Er kritisierte die Bildung eines Heimatministeriums, das zu wenig gegen die Zerstörung der Heimat unternimmt.

Als ersten Beitrag zur Bestandsaufnahme des Status Quo führte der Luftbildarchäologe Klaus Leidorf die Zuhörer des fast voll besetzten Salzstadels mit seinen atemberaubenden Fotografien aus der Vogelperspektive durch 7000 Jahre Kulturlandschaft in Bayern, machte sichtbar, wie alte Flurteilungen bis heute die Siedlungsstrukturen bestimmen und führte dabei drastisch vor Augen, wie schnell, rücksichtslos und ausufernd die Landschaft um Landshut in den letzten wenigen Jahren verbaut wurde.
Danach lieferte Claudia Bosse von der Fakultät Bau, Geo, Umwelt, Bodenordnung und Landesentwicklung der TU München die wissenschaftlich erhobenen Kennzahlen für den Flächenverbrauch, erläuterte wie diese Daten zustande kommen und wie sie zu bewerten sind.
Boris Sieverts, Reiseführer und Künstler aus Köln versuchte im Anschluss, unterstützt durch Lokalkenntnisse der Landshuter Architektin Sieglinde Brahms-Mieskes, seinen Blick auf Siedlungen und Landschaftsräume bei Landshut zu vermitteln und nahm die Teilnehmer auf seinen digitalen Flug mit Google Earth über und durch die Landschaft mit. Wobei seine Suche nach dem Erzählerischen, dem Schillernden in vermeintlich banalen Situationen, so manchem Ortsansässigen das scheinbar Vertraute in einer völlig überraschenden Sichtweise nahebrachte.

Nach der Mittagspause breitete Prof. Armin Nassehi, Professor für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der LMU seine Gedanken zu Heimat und Urbanität aus und definierte Gesellschaft als die Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen. Konkret machte er seine Thesen an der unmittelbaren Nachbarschaft kleiner Häuser eines Dorfes zu einem großen Werk von BMW anschaulich. Demokratie sei nicht die Simulation eines Kollektivwillens, sondern die Fähigkeit, den Anderen auszuhalten.
Der Züricher Architekt Prof. Stefan Kurath vom ZHAW Institut for Urban Landscapes, erläuterte die Diskrepanz von Planervorstellung und Stadtwirklichkeit an Beispielen in der Schweiz und bot Lösungsansätze, wie man die qualitätsvolle Umsetzung von Planungen besser steuern kann. Seine Forderung nach einer politischen Architektur lautete dabei unter anderem: „Wartet nicht, bis andere etwas tun. Mischt euch ab sofort in alles ein!“
Mit philosophischen Ableitungen näherte sich Prof. Sören Schöbel in seinem Vortrag der politischen Dimension und forderte die Aufhebung der strikten Trennung der Landschaftsnutzung, die immer noch der modernistischen Doktrin der Charta von Athen folge. Er forderte die Sensibilität, die die Gesellschaft in den Städten bereits seit den 1980er Jahren zeigt, auch auf die Landschaft zu übertragen und schlägt einen Landschaftsvertrag als Regelwerk vor.

Auch Dr. Jörg Heiler bezog sich auf die Urbanisierungstheorie von Henri Lefebvre und hinterfragte die zunehmende Verlagerung wichtiger urbaner Funktionen aus den Ortskernen heraus hin zu neuen unwirtlichen Dienstleistungssiedlungen rund um die Tankstellen von Autobahnen oder Fernstraßen.

Zum Abschluss stellte Prof. Hilmar Sturm von der Gesellschaft für Bürgergutachten das Projekt „Bürgerbeteiligung Landschaft“ und das von ihm praktizierte Prinzip der Planungszellen vor. Dabei setzten sich anstelle großer Versammlungen kleine Gruppen ausgewählter Bürger intensiv über mehrere Tage mit dem Planungsvorhaben auseinander, was in der Vergangenheit bei vielen Projekten zu messbaren Verbesserungen führte. Auch plädierte er für ein Stapeln von Flächen im Gewerbebereich und für mehr Qualität in einer prosperierenden Gesellschaft.

Bei der abschließenden Diskussion wurde unter Einbeziehung von Publikumsfragen überlegt, wie die Politik bei dem Diskurs besser miteinbezogen werden könne. Wichtig sei der Austausch mit den Landräten, aber auch mit der kommunalen Ebene. Eine neue Gebietskategorie für den Ländlichen Raum »Sondergebiete in dörflichen Lagen« könnte neue Spielräume schaffen. Laut Matthias Simon vom Bayerischen Gemeindetag, stünden aber bereits jetzt schon juristische Instrumente zur Verfügung, die kreativ angewendet werden könnten. Jakob Oberpriller drängt auf eine Reform des Flächennutzungsplans, um gemischte Nutzungen zukünftig zu ermöglichen. »Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir mehr zivilgesellschaftliches Engagement an den Tag legen« forderte Josef Mathis, ehemaliger Bürgermeister der Vorarlberger Gemeinde Zwischenwasser. Seine Initiative vauhochdrei für eine gemeinwohlorientierte Raumentwicklung hat sich mit einer Petition an das Land so viel Gehör bei der Politik verschafft, dass viele der Forderungen in die Raumordnungsnovelle eingeflossen sind. Den Bayern sollte das Mut machen, zumal sich die Initiative bei ihrer Argumentation unter anderem auf das Grundgesetz sowie die Artikel 158 und 161 der bayerischen Verfassung beruft.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, forderte abschließend: »Unsere gesamte Umwelt ist das Ergebnis von Abwägungen und Abstimmungen nach festgesetzten Regeln. Wir haben aber noch immer keine Regeln für die Baukultur. Das muss auf die Agenda und das betrifft nicht nur die Städte, sondern auch die Landschaft.«

BDA Bayern

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Erwin Schneck, 3. Bürgermeister Stadt Landshut

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Prof. Lydia Haack, BDA Landesvorsitzende

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Jakob Oberpriller, BDA Kreisvorsitzender Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Michael Leidl, Referent für Raum- und Flächenplanung BDA Bayern

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Klaus Leidorf, Luftbildarchäologe, Buch am Erlbach

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Claudia Bosse, Ingenieurfakultät Bau, Geo, Umwelt, TUM

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Sieglinde Brams-Mieskes (Architektin BDA, Landshut) und Boris Sieverts (Büro für Städtereisen, Köln)

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Prof. Dr. Armin Nassehi, Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie, LMU

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Prof. Dr. Stefan Kurath, urbaNplus, Zürich

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Prof. Dr. Sören Schöbel, Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume, TUM

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Dr. Jörg Heiler, Architekt BDA und Stadtplaner, Kempten

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Prof. Dr. Hilmar Sturm, gfb Gesellschaft für Bürgergutachten, München, Mettmann, Fürstenau

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Abschlussdiskussion moderiert von Prof. Dr. Sören Schöbel

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Abschlussdiskussion v. l. n. r. Matthias Simon (Bayerischer Gemeindetag), Rainer Nagel (Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Potsdam), Josef Mathis (ehem. Bürgermeister Zwischenwasser, Regionalsprecher Vorarlberg, Initiative „vau hoch drei“) und Jakob Oberpriller (BDA Kreisvorsitzender Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz)

 

Abschlussdiskussion v. l. n. r. Matthias Simon (Bayerischer Gemeindetag), Rainer Nagel (Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Potsdam), Josef Mathis (ehem. Bürgermeister Zwischenwasser, Regionalsprecher Vorarlberg, Initiative „vau hoch drei“), Jakob Oberpriller (BDA Kreisvorsitzender Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz) und Prof. Dr. Sören Schöbel (Moderator)

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Teilnehmer Prof Dr. Thomas Sieverts

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Teilnehmer

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
Teilnehmerin Prof. Christiane Thalgott

 

Teilnehmer

 

Benjamin Ganzenmüller
Benjamin Ganzenmüller
v. l. n. r. Prof. Dr. Sören Schöbel, Erwin Schneck, Prof. Lydia Haack, Michael Leidl, Jakob Oberpriller, Dr. Jörg Heiler und Anne Steinberger (Geschäftsführerin BDA Bayern)